Erschienen im Informationsdienst „Bauleitung“, Oktober 2024, von Florian Herbst
Der Umgang mit Mängeln bei Bauprojekten stellt für die Bauleitung eine wiederkehrende Herausforderung dar. Doch ab wann kann ein Sachverhalt als Mangel gelten? Was hat es mit (un-)wesentlichen Mängeln auf sich? Dieser Beitrag nimmt sich den Mangelbegriff vor und zeigt anhand von aktuellen Urteilen, wie sich die Rechtsprechung dazu verhält.
Mythen über Mängel halten sich hartnäckig. Der Klassiker ist der „versteckte Mangel“, der seit Jahrzehnten durch die Köpfe der Planer und Baubeteiligten geistert, obwohl es mittlerweile zum Grundwissen gehören sollte, dass es einen derartigen Mangeltypus nicht gibt. Zwar läuft für arglistig verschwiegene und daher versteckt gehaltene Mängel eine gesonderte Verjährungsfrist von drei Jahren ab Kenntnis des Mangels; hier unter fallen jedoch verschwindend geringe Ausnahmefälle. Für den Ablauf der zumeist fünfjährigen Gewährleistung spielt es im Regelfall keine Rolle, ob der Mangel bei Abnahme versteckt war oder nicht. Anders ausgedrückt: Spätestens fünf Jahre nach Abnahme ist i. d. R. Schluss mit der Mängelhaftung.
Wenn Sie nunmehr überrascht sind, lesen Sie unbedingt weiter. Denn dieser Beitrag widmet sich einem weiteren Phänomen des Mängelrechts, welches regelmäßig verkannt wird und daher schnellstmöglich aufgeklärt werden sollte.
Nicht selten nämlich, sogar bei Gericht, trifft man auf die Auffassung, dass unwesentliche Mängel keinerlei Folgen nach sich ziehen, insbesondere keine Ansprüche des Bauherrn auf Nachbesserung begründen, diese vielmehr klaglos hinzunehmen seien. Vielmehr bedürfe es, so die Vertreter dieser nicht sehr fundierten Theorie, einer gewissen Wesentlichkeit, um Mängelrechte geltend machen zu können. Ein gefährlicher Trugschluss und Anlass, sich dem Thema Wesentlichkeit von Mängeln einmal näher zu widmen. Denn ganz so klar, wie es zunächst scheint, ist die Rechtslage dann doch nicht.
Der Mangelbegriff
Bevor es um die Frage geht, wann ein Mangel wesentlich ist, wann nicht und welche Folgen dies nach sich zieht, zunächst ein Blick in das Gesetz. Das BGB bestimmt in § 633 Abs. 2 den Sachmangel in erster Linie subjektiv. Eine Leistung ist demnach frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat.
Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche, Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Bauherr nach der Art des Werkes erwarten kann.
Das Gesetz zwingt die Parteien also für die Beantwortung der Frage, ob ein Mangel vorliegt oder nicht, zunächst einmal zu einem Blick in ihren Vertrag. Weicht demnach die vorhandene Ist-Beschaffenheit von der vertraglich definierten Soll-Beschaffenheit ab, liegt eine mangelhafte Leistung vor. So einfach kann es sein. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die abweichende Ist-Beschaffenheit gleich- oder gar höherwertig ist. Selbst eine qualitativ hochwertigere Ausführung kann demnach einen Mangel darstellen. Zur Annahme eines Mangels genügt also die vom Vertrag abweichende Beschaffenheit.
Erst wenn im Vertrag keine Beschaffenheit der auszuführenden Leistungen bestimmt ist, kommt es auf die vorausgesetzte bzw. gewöhnliche Verwendung sowie auf die übliche Beschaffenheit an.
Was das Gesetz verschweigt ist jedoch, dass es noch zwei weitere Tatbestände gibt, die einen Mangel begründen:
1) Die ausgeführte Leistung muss – grundsätzlich unabhängig von der vertraglichen Vereinbarung – die anerkannten Regeln der Technik als Mindeststandard einhalten. Bleibt sie dahinter zurück, ist die Leistung mangelhaft. Zwar besteht theoretisch die Möglichkeit, dass sich Planer bzw. das ausführende Gewerk mit dem Bauherrn auf eine von den anerkannten Regeln der Technik abweichende Ausführung verständigen; an eine derartige Vereinbarung, die stets schriftlich erfolgen sollte, sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist der Bauherr im Einzelnen über die Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik und die damit einhergehenden Folgen und Risiken aufzuklären. Nicht selten misslingt eine derart haftungsausschließende Abrede.
2) Um als mangelfrei zu gelten, muss die ausgeführte Leistung zudem funktionstauglich sein, also die ihr innewohnende Funktion erfüllen. Salopp gesagt: Mag das frisch gedeckte Dach noch so eine schöne Farbe haben, wenn es nicht dicht ist, ist es als mangelhaft zu sehen.
Die Haftung für (un-)wesentliche Mängel
Was hat es nun mit der Wesentlichkeit eines Mangels auf sich? Das Merkmal der Wesentlichkeit spielt in Haftungsfragen eine eher untergeordnete Rolle. Ausgehend von der vorherigen Definition eines Mangels, wonach jede Abweichung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit eine mangelhafte Leistung darstellt, ist zunächst einmal festzuhalten, dass auch unerhebliche Abweichungen von der vereinbarten Beschaffenheit, durch die der Wert oder die Gebrauchstauglichkeit objektiv nicht beeinträchtigt werden, einen Mangel. Dies ist seit Jahren ständige Rechtsprechung und wurde zuletzt noch einmal vom BGH ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 30.07.2015, Az. VII ZR 70/14).
Für Planer und ausführende Gewerke ist deshalb Vorsicht geboten. Bei allen Abweichungen von konkreten Angaben in Leistungsverzeichnissen oder Baubeschreibungen sollte stets die vorherige schriftliche Zustimmung des Bauherrn eingeholt werden, um Streit zu vermeiden.
Die entsprechende Vereinbarung muss mit den Vertretungsberechtigten abgeschlossen werden, wozu der bauüberwachende Architekt/Ingenieur regelmäßig nicht gehört, wenn der Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes regelt. Dies gilt auch, wenn in einem Leistungsverzeichnis ein bestimmtes Produkt mit dem Zusatz „oder gleichwertig/oder ähnlich“ ausgeschrieben wurde.
Falls das ausführende Gewerk das Alternativprodukt nicht bereits in das Leistungsverzeichnis eingetragen und zum Gegenstand seines Angebots gemacht hat, sollte es vor Ausführung der Leistung vorsorglich beim Bauherrn nachfragen, ob auch aus dessen Sicht Gleichwertigkeit mit dem vorgegebenen Leitfabrikat besteht. Dies vermeidet spätere Meinungsverschiedenheiten. Dabei empfiehlt es sich, die Anfrage mit der Übersendung von Produktdatenblättern oder vergleichbaren Unterlagen zu versehen.
Bauherren nehmen Abweichungen von Beschaffenheitsvereinbarungen regelmäßig zum Anlass, Mangelbeseitigungs- bzw. Minderungsansprüche zu fordern, beispielsweise, wenn ohne vorherige Vereinbarung Produkte anderer Hersteller oder andere Fabrikate verwendet wurden. Das ist im Ausgangspunkt berechtigt, denn es kommt – wie gezeigt – nicht darauf an, ob und inwieweit sich die Abweichung nachteilig auswirkt. Das kann allenfalls die Prüfung der Frage rechtfertigen, ob dem Mangelbeseitigungsanspruch des Bauherrn der Einwand unverhältnismäßig hoher Kosten entgegensteht und daher nur eine Minderung in Betracht kommt.
Mit einem derartigen Sachverhalt hatte sich das OLG Celle im Jahre 2013 zu beschäftigen. Ein Bauunternehmer sollte ein von ihm zu errichtendes Geschäftshaus über drei Etagen mit einer schwarzen Designer-Glasfassade in der „Structural-Glazing-Technik“ versehen. Die einzelnen Glaselemente wurden dabei mit ihrer Tragkonstruktion verklebt, sodass von außen nur feine Fugen sichtbar. Hierzu beauftragte er seinerseits einen Fensterbauer mit der Herstellung und Verklebung der Fensterelemente. Aus energetischen Gründen sollten sie eine sog. „warme Kante“ erhalten. Für die benötigten Abstandshalter wurde die Farbe „Thermix schwarz“ vereinbart.
Nachdem die gesamte Glasfassade am Gebäude angebracht war, schienen die Abstandshalter teilweise silbrig durch, weil sie nicht komplett mit schwarzem Kunststoff ummantelt waren. Der Bauunternehmer verweigerte die Zahlung der Vergütung des Fensterbauers und forderte Nachbesserung. Das OLG bestätigte den Bauunternehmer zunächst in seiner Auffassung, dass es sich um eine mangelhafte Leistung des Fensterbauers handelt. Da die ummantelten Abstandshalter nur teilweile entgegen der vertraglichen Absprache in der Farbe der Glaselemente verbaut wurden, liege darin ein Mangel, wenn sie durch das Glas der Einzelelemente schimmern. Der Fensterbauer konnte gleichwohl die Neuherstellung verweigern und sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung berufen, da keine besondere Beschaffenheit der Gesamtfassade vereinbart und deren optische Beeinträchtigung kaum messbar war, die Mängelbeseitigung im Vergleich dazu vielmehr extrem hohe Kosten verursacht hätte. Glück im Unglück also für den Fensterbauer, der lediglich den Abzug eines geringen Minderwerts von seiner Vergütungsforderung in Kauf nehmen musste.
Die Abnahmeverweigerung
Ein Mangel liegt also stets auch bei unwesentlichen Abweichungen von der Soll-Beschaffenheit vor. Ob sich hieraus dann Nachbesserungsansprüche ableiten lassen oder dem Bauherrn lediglich ein Minderungsanspruch zusteht, ist eine andere Frage.
Bedeutsamer ist das Merkmal der Wesentlichkeit bei der Abnahme, konkret bei der Frage, ob der Bauherr die Abnahme wegen Mängeln verweigern kann. Auch hier zunächst ein Blick in das Gesetz: § 640 Abs. 1 BGB bestimmt, dass unwesentliche Mängel oder Restleistungen eine Abnahmeverweigerung nicht rechtfertigen. Mit anderen Worten: Nur im Falle von wesentlichen Mängeln kann die Abnahme verweigert werden. Was unter einem (un-)wesentlichen Mangel zu verstehen ist, regelt das Gesetz leider nicht. Hierzu hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung herausgebildet.
Die Frage, wann ein Mangel wesentlich ist oder nicht, ist einzelfallabhängig und kann nicht mittels Faustformel beantwortet werden. Man wird aber sagen können, dass ein wesentlicher Mangel dann vorliegt, wenn er nach Art, Umfang und/oder Auswirkung von solchem Gewicht ist, dass dem Bauherrn vor dem Hintergrund der vertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung die Übernahme der Bauleistungen nicht zugemutet werden kann.
Unwesentlich ist demgegenüber ein Mangel oder eine fehlende Restleistung, wenn es dem Bauherrn zumutbar ist, die Leistung als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung anzunehmen und das Interesse des Bauherrn an einer Beseitigung verbliebener Mängel vor Abnahme im Einzelfall nicht schützenswert erscheint.
Maßgebend für die Beurteilung sind hierbei Art und Umfang der noch ausstehenden Restleistungen und der vorhandenen Mängel sowie ihre konkreten Auswirkungen für die Funktions- und Gebrauchstauglichkeit unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien. Diese Wesentlichkeit kann sich auch aus der Vereinbarung bzw. der vertraglichen Zusicherung spezieller Eigenschaften ergeben.